
26.06.2025 / Carsten Mumm
In einer bemerkenswerten Rede erwähnte EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Möglichkeit eines „Globalen Euro“-Moments[1]. Darin sieht Lagarde die historische Chance, die Bedeutung des Euro als Reservewährung aufzuwerten. Allen voran durch den sukzessiven Vertrauensverlust in den US-Dollar, der noch heute die unangefochtene Weltleitwährung ist. Tatsächlich ist der Anteil des Dollar an den globalen Devisenreserven bereits in den letzten 20 Jahren von rund 70 auf derzeit 58 Prozent gesunken. Seit einigen Jahren reduzieren einige Notenbanken – vor allem aus Schwellenländern – verstärkt ihre Dollar- Reserven, um diese breiter zu diversifizieren, Nicht zuletzt der Einsatz von Sanktionen durch die USA und die Möglichkeit des Ausschlusses von dollarbasierten Zahlungssystemen erhöht für viele Staaten den Anreiz, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Dabei stellt für viele Gold eine Alternative dar, worauf ein nennenswerter Anteil des Goldpreisanstiegs der letzten Jahre zurückzuführen ist. Die erratische Politik der US-Regierung unter Präsident Donald Trump untergräbt das Vertrauen in den Dollarraum zusätzlich, denn politische Verlässlichkeit und die Stabilität der Institutionen werden aktiv geschwächt. Dadurch werden jahrzehntelang eherne Gesetze der Kapitalanlage infrage gestellt, wie bspw. die Funktion des Dollar als „sicherer Hafen“ in turbulenten Börsenphasen. So wertete die US-Währung – trotz massiver zwischenzeitlicher Aktienkursverluste nach der Ankündigung massiver Zölle durch Trump Anfang April – deutlich ab. Allerdings bilden die USA den weltweit größten und liquidesten Kapitalmarkt. Skandinavische Währungen oder der Schweizer Franken fungieren zwar ebenfalls als Hort der Sicherheit, sind aber als Währungsraum zu klein. Der chinesische Yuan hingegen stellt zumindest für westlich orientierte Staaten keine adäquate Alternative dar. Daher resultiert die von Lagarde erwähnte Chance, den seit Jahren stabilen Anteil des Euro an den globalen Devisenreserven von knapp 20 Prozent zu erhöhen. Allerdings verweist sie zurecht darauf, dass noch wesentliche Voraussetzungen des Euroraums für eine Teilübernahme des Weltleitwährungsstatus´ fehlen.
Zur notwendigen geopolitischen Stabilität gehört:
- ein klares Bekenntnis zum Freihandel,
- ein hoher Anteil des Euro als Verrechnungswährung bei der Abwicklung internationaler Handelstransaktionen – dieser ist mit etwa 40 Prozent gegeben –
- sowie ein hohes Maß an militärischer Verteidigungsfähigkeit bzw. die Einbindung in stabile militärische Allianzen.
An der Steigerung der Verteidigungsfähigkeit wird zumindest vonseiten der wesentlichen Eurostaaten zusammen mit Großbritannien verstärkt gearbeitet. Als zweiten Aspekt nennt Lagarde ökonomische Stärke, also ein dynamisches Wachstum, tiefe und liquide Kapitalmärkte sowie die ausreichende Möglichkeit für internationale Investoren in Euro-Staatsanleihen (Safe Assets) zu investieren. Bzgl. der Wachstumsperspektiven kann man zuversichtlich sein, denn sowohl Wachstumsprognosen für Deutschland und die Eurozone als auch Stimmungsindizes wie das ifo-Geschäftsklima oder die HCOB-Einkaufsmanagerindizes belegen einen zuversichtlicheren Blick auf künftige Geschäftsaussichten und Wachstumsraten in den kommenden Jahren. Es fehlt allerdings noch die Vervollständigung des gemeinsamen Binnenmarktes und eine Kapitalmarktunion sowie die Unterstützung des Wachstums durch einen Abbau von Bürokratie. Um die Funktion als sicherer Hafen zu übernehmen, braucht es zudem einen größeren Fundus an Anleihen mit gemeinschaftlicher Haftung. Aus ökonomischer Sicht ist es sinnvoll, das öffentliche Güter, die allen Staaten der Eurozone zugutekommen, gemeinschaftlich organisiert und finanziert werden, bspw. die Verteidigung oder der Kampf gegen die Folgen des Klimawandels bzw. gegen dessen Eindämmung. Eine Ausweitung des Angebots an gemeinsamen Euro-Anleihen der Mitgliedsstaaten ist daher in den kommenden Jahren wahrscheinlich. Und schließlich nennt die EZB-Präsidentin das notwendige Vertrauen in die Stabilität europäischer Institutionen, gerade mit Blick auf entgegengerichtete Entwicklungen in den USA. Um dieses zu stärken, bedarf es Anpassungen in der institutionellen Struktur der Europäischen Union, wie bspw. die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips zur Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas. Insgesamt wäre eine stärkere Integration Europas vonnöten. Zusammen mit einem klaren Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, freier Meinungsäußerung und Freihandel könnte Europa ein attraktives eigenes Angebot im internationalen Systemwettbewerb gestalten. Der Vorteil läge in mehr Unabhängigkeit von Währungsschwankungen, tieferen Zinsen für Staatsschulden und geringerer Risiken, von Sanktionen getroffen zu werden, sowie einer stabileren Wachstumsperspektive. Einige dieser Entwicklungen wären noch vor Jahren undenkbar. Allerdings sorgen der zunehmende handels- und geopolitische Druck, die unsichere Sicherheitspartnerschaft mit den USA sowie innenpolitische Polarisierungen für steigenden Handlungsdruck der politisch Verantwortlichen. Die Alternative zu einem „mehr Europa“ ist mehr Nationalstaatlichkeit und damit die Gefahr des gegenseitigen Ausspielens durch verschiedene außereuropäische Interessenslagen und der Verlust an Unabhängigkeit.
[1] Earning influence: lessons from the history of international currencies