Wirtschaft – Gesellschaft – Zukunft
27. September 2024 / Carsten Mumm, Chefvolkswirt
Der Höhepunkt des Superwahljahres 2024
Wir befinden uns mitten im Superwahljahr. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird oder wurde in diesem Jahr zum Urnengang aufgerufen. Taiwan, Indien, die Europawahlen, die Landtagswahlen in Deutschland sowie – im Sommer unerwartet hinzugekommen – die Parlamentswahlen in Frankreich und Großbritannien sind einige der bisherigen Stationen. Das medial mit Abstand am stärksten im Fokus stehende Ereignis aber steht noch aus. Die Präsidentschaftswahlen in den USA sorgten schon immer für eine besondere Aufmerksamkeit. In diesem Jahr allerdings überschlugen sich die Ereignisse schon weit vor dem Wahltermin am 5. November in kaum erwarteter Form.
Außergewöhnlicher US-Vorwahlkampf
Das liegt einerseits an der ursprünglichen Neuauflage des Duells von 2020 zwischen dem amtierenden Präsidenten Joe Biden und dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Beide sind älter als jeder andere Kandidat jemals zuvor. In mittlerweile gewohnter Manier polarisiert vor allem Trump mit verbalen Attacken, Lügen, Verleumdungen und rhetorischen Wendungen sowohl die Wählerschaft als auch internationale Beobachter. Doch auch Joe Biden gab aufgrund seiner offensichtlich fehlenden Fitness und zweifelhaften verbalen Ausdrucksfähigkeit immer wieder Rätsel auf und unterlag seinem Herausforderer im ersten Fernsehduell im Juni krachend. Dann das Attentat auf Trump mit den daraus resultierenden heroischen Bildern, der Rückzug Bidens aus dem Wahlkampf und die Nominierung von Kamala Harris als Kandidatin der Demokraten – schon jetzt genug Stoff für eine Verfilmung.
US-Präsidentenwahl 2024 (PredictIt)
Source: Macrobond, 13.09.2024
Kopf-an-Kopf-Rennen von Harris und Trump
Kamala Harris entwickelte seitdem ein ebenfalls von den wenigsten erwartetes Momentum. Sah Trump noch bis zu ihrer Ernennung als der sichere Sieger aus, wendete sich das Blatt rasant. Harris holte auf und lag nach nur wenigen Tagen vor Trump. Dabei half ihr auch die Wahl ihres potenziellen Vize-Präsidenten, Tim Walz, der als Gouverneur von Minnesota, ehemaliger Lehrer, Angehöriger der Nationalgarde und Footballtrainer viele Menschen anspricht. Aus dem Fernsehduell zwischen Harris und Trump am 10. September ging sie in der allgemeinen Wahrnehmung als Siegerin hervor und konnte ihren zuvor leicht geschrumpften Vorsprung wieder ausbauen. Nicht zuletzt wohl auch, weil die US-Pop-Ikone Taylor Swift unmittelbar nach der Fernsehübertragung ihre Unterstützung für die Kandidatin verkündete.
Trotzdem dürfte es bis zum Wahltag ein sehr knappes Rennen bleiben. In der bisher weniger durch Inhalte als vielmehr durch persönliche Anschuldigungen und Diffamierungen geprägten Debatte zwischen den politischen Lagern könnte ein Fehler, eine Enthüllung oder auch nur eine falsche Behauptung das Pendel schnell in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen. Je näher der Termin rückt, umso hitziger dürften die Schlagabtausche werden.
Besonderheit des US-Wahlsystems
Doch auch eine Besonderheit des US-Wahlsystems muss in diesem Kontext beachtet werden, wie uns kürzlich die ehemalige US-Generalkonsulin Susan Elbow, auf einer Veranstaltung berichtete. Denn der Präsident oder die Präsidentin wird in den USA nicht vom Volk direkt, sondern vom sogenannten Electoral College, einem „Wahlmänner“-Gremium gewählt. Abhängig von der Bevölkerungsanzahl können die einzelnen Bundesstaaten mehr oder weniger Wahlmänner stellen. Dabei bekommt die Partei mit einer Mehrheit in einem Bundesstaat alle Wahlmännerstimmen, selbst wenn sie nur sehr knapp vorn liegt (das „Winner-Takes-It-All“-Prinzip). Dadurch ist es möglich, dass der Präsidentschaftskandidat mit der Mehrheit aller Stimmen im ganzen Land trotzdem unterliegt. Zuletzt gab es diesen Fall im Jahr 2000 bei der Niederlage von Al Gore gegen George W. Bush Jr.
Auch ist es der Grund, warum der Ausgang der Wahlen in den sogenannten Swing-States so entscheidend ist. Denn hier sind die Mehrheitsverhältnisse so knapp, dass man nicht schon im Vorwege davon ausgehen kann, dass die Wahlmännerstimmen an die Demokraten oder die Republikaner gehen.
Auswirkungen des US Wahlkampfes auf Wirtschaft und Börse
Die wirtschaftspolitischen Vorhaben von Harris und Trump unterscheiden sich deutlich, dürften aber insgesamt vergleichbare Auswirkungen für die Wirtschaft haben. Während Harris die Steuern für Unternehmen anheben und dafür Menschen mit niedrigeren Einkommen über verschiedene Wege deutlich entlasten möchte, plant Trump niedrigere Steuern für Unternehmen und eine Verlängerung der im kommenden Jahr auslaufenden Einkommensteuersenkungen aus dem Jahr 2017. Harris Vorhaben dürften den privaten Konsum unterstützen. Trump hingegen würde eher Investitionen befördern, unter anderem im Bereich fossiler Energien.
Allerdings könnten die von Trump angekündigten, teils drastischen Erhöhungen von Zöllen den positiven Effekt kompensieren, denn es wäre mit Gegenmaßnahmen der Handelspartner und damit steigender Inflation sowie höheren Zinsniveaus zu rechnen. In diesem Kontext ist allerdings besonders wichtig, ob sich Harris oder Trump auf eine Mehrheit im Kongress stützen können. Sollten nicht sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat von der Präsidentenpartei dominiert werden, könnten die jeweiligen Vorhaben nur eingeschränkt umgesetzt werden. Rückwirkungen auf die Börsen können daher kaum allgemeingültig abgeleitet werden und dürften vor allem branchenspezifisch ausfallen.
Steigende US-Staatsverschuldung erwartet
In beiden Wahlprogrammen stehen keine größeren Sparvorhaben auf der Agenda. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die seit Jahren hohen Haushaltsdefizite höchstens in geringem Ausmaß reduziert werden und die Staatsverschuldung entsprechend weiter ansteigt. Nicht auszuschließen sind in diesem Kontext zunehmende Diskussionen über die Unabhängigkeit der US-Notenbank Fed in den kommenden Jahren, denn sie wäre die letzte Instanz, die einem möglicherweise drohenden Vertrauensverlust begegnen könnte. Donald Trump macht keinen Hehl daraus, dass er gern zumindest ein Mitspracherecht bei geldpolitischen Entscheidungen hätte. Harris verteidigt zwar die Unabhängigkeit der Notenbank, allerdings gibt es in Teilen der demokratischen Partei schon seit Jahren Überlegungen, die Geldpolitik direkt dem Finanzministerium zu unterstellen. Glücklicherweise lassen sich aber US-Institutionen und ordnungspolitische Grundfesten nur mit sehr großen Mehrheiten so fundmental verändern.
USA Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung
Source: Macrobond, 13.09.2024
Implikationen für Europa
„Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, sagte Angela Merkel schon 2017 nach einem G7-Gipfel unter Beteiligung des damaligen US-Präsidenten Trump. Dieses Motto hat seitdem nicht an Aktualität verloren und dürfte auch nach der US-Wahl wegweisend sein – sollte Trump Präsident werden, mehr, bei einem Erfolg von Kamala Harris nur etwas weniger. Denn klar ist, dass auch die neue US-Regierung eigene Interessen noch stärker in den Vordergrund stellen wird. Das gilt für die eigene Wirtschaft, den internationalen Handel, das globale militärische Engagement oder die Positionierung gegenüber China und internationale Organisationen. Daher wären die neue EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen sowie die europäischen Nationalstaaten gut beraten, wenn sie ihre Interessen künftig stärker bündeln, diese gemeinsam nach außen vertreten und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Standorte für die Wirtschaft deutlich voranbringen würden. Dazu hatte kürzlich Mario Draghi, ehemaliger EZB-Präsident, einen Maßnahmenkatalog vorgestellt. Auf 400 Seiten beschreibt sein Bericht, wie die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten bzw. zurückgewinnen und im Wettlauf mit den Wirtschaftsmächten USA und China bestehen könnte. Möglicherweise ist dies eine wichtige Wegmarke hin zu der bereits von Merkel angemahnten größeren Eigenständigkeit.